"Army of Thieves": Ein Tresor namens Götterdämmerung (2024)

Nach dem Erfolg von "Army of the Dead" bringt Netflix nun "Army of Thieves" raus. Mit Matthias Schweighöfer als Hauptdarsteller und Regisseur. Das ist lustig.

Eine Rezension von Jan Kedves

Bestimmt wird gleich jemand "Spoiler" rufen, nur weil man zum Einstieg in eine Rezension von Army of Thieves erwähnt, dass es in dieser ziemlich amüsanten und gar nicht mal allzu trashigen Panzerknacker-Action-Romanze länger als eine Stunde dauert, bis die ersten zarten Blutspritzer fliegen. In Army of the Dead, dem Vorgängerfilm, der im Frühjahr dieses Jahres auf Netflix zum Riesenhit wurde, sprudelte es von Anfang an und hörte gar nicht mehr auf. Der Regisseur Zack Snyder wollte da offenbar einen neuen Standard setzen, was die hemmungslose Inszenierung von Zombie-Splatter-Kopfschuss-Orgien angeht, und die Zartbesaiteteren unter uns stöhnten und dachten: Na gut, dass die hier zu Tausenden niedergemetzelten Zombies in diesem post-apokalyptischen und bald nuklearverseuchten Las Vegas keine Menschen (mehr) sind.

Matthias Schweighöfer spielte in diesem ersten Army-of-...-Film nur eine Nebenrolle: den nerdig-verschüchterten Deutschen Dieter, der extrem gut Safes knacken kann, und zwar nicht mit der Brechstange, sondern mit viel Respekt und Einfühlungsvermögen. Ein Tresorflüsterer, wenn man so will. Dieter wirkte im Kreis der Hauptfiguren, zwischen den martialischen Muskel-Söldnern, den Scharfschützen und der taffen Kampfpilotin, wie ein glucksendes Baby, das mitten in eine Truppenübung gepurzelt ist. Die Figur kam beim Publikum offenbar so gut an, dass Schweighöfer im neuen Film, der ein Prequel ist – Army of Thieves spielt sechs Jahre vor Army of the Dead –, nun nicht nur die Hauptrolle spielen, sondern auch die Regie führen durfte.

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Man malt sich das so aus: Der deutsche Schauspielstar, der ja schon rein körperlich viel mehr Harmlosigkeit vermittelt als etwa Dave Bautista, die Hauptdarsteller-Schrankwand aus Army of the Dead, bekommt also dieses Angebot aus Hollywood, und weil er doch eigentlich auch zart besaitet ist und Gewalt, ganz ehrlich, eher schwierig findet, lautet seine Bedingung: Weniger Blut! Und diesmal schießen wir nicht scharf, sondern erst mal nur mit Betäubungspfeilchen! Wahrscheinlich war es ganz anders, aber die Vorstellung ist schön – gerade jetzt, wo anlässlich der koreanischen Serie Squid Game die ganze Welt mal wieder über Sinn und Unsinn von krassen Gewaltdarstellungen diskutiert und wo Alec Baldwin in den USA tragischerweise die Kamerafrau Halyna Hutchins erschossen hat, mutmaßlich aufgrund eines Versehens in der Waffenmeisterei am Set zum Western Rust.

Worum geht es in Army of Thieves? Hans Wagner war ein bayerischer Tresor-Ingenieur, mit dem Komponisten Richard Wagner war er weder verwandt noch verschwägert. Aber er war Fan von Wagners Opernzyklus Der Ring des Nibelungen, und deswegen hat Hans Wagner, auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn wandelnd, vier unfassbar schwer zu knackende Safes konstruiert. Sie heißen, tja, Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. Diese vier Tresorlegenden stehen Jahrzehnte nach dem Suizid ihres Schöpfers in den Kellern verschiedener Banken und sind randvoll gefüllt mit einem modernen Nibelungenschatz: nicht mit Gold, sondern mit Cash. Wo genau Götterdämmerung (amerikanisch ausgesprochen: Gotterdammerung) steht, weiß im Film zunächst niemand so genau. Sicher ist nur, dass es der am schwierigsten zu knackende der vier Tresore ist – was ja, wenn man sie schön der Reihe nach knacken will, für den Spannungsbogen so eines Films schon mal hilfreich ist.

Dieter heißt in Army of Thieves anfangs noch Sebastian, er hat also noch nicht seine Safecracker-Persona gefunden. Er hockt in Potsdam zu Hause vor seinem Computer und verbringt wirklich zu viel Zeit allein. Im schlimmsten Fall wäre aus ihm wohl ein Incel geworden, ein Junggesellen-Nerd, der nur sehr selten oder nie Sex hat, die Schuld dafür den Frauen gibt und irgendwann austickt. Auch so jemanden hätte Schweighöfer, der mit 40 ja immer noch einen Rest Bubihaftigkeit hat, gut spielen können. Aber da kommt zum Glück die von Interpol gejagte Profi-Ganovin Gwendoline (Nathalie Emmanuel). Sie hat auf YouTube ein Video gesehen, das Sebastian über die Ring-Tresore hochgeladen hat, und jetzt will sie ihn mitnehmen auf große Panzerknackertour nach Paris, Prag und St. Moritz.

Zum Team werden noch ein stereotyp gezeichneter Action-Bro (Stuart Martin), ein Sidekick (Guz Khan) und eine toll gelangweilte Hackerin (Ruby O. Fee) gehören. Die weiblichen Figuren in diesem Film sind stark gezeichnet und sehr symphatisch, was aus Amy of Thieves sogar eine gewissermaßen antimaskulinistische, zumindest maskulinismuskritische Action-Romanze macht. Bevor es aber losgeht, schleppt Gwendoline, die schöne Chefin, Sebastian erst mal nachts in Berlin zu einer Panzerknacker-Party in einen Club "am Ende der Leipziger Straße". Der Türsteher dort sieht aus wie Sven Marquardt, der gepiercte und tätowierte Türsteher des Berghain. Wollte Marquardt selbst nicht mitspielen? Er wurde doch bestimmt gefragt?

Nicht nur wenn man sich daran erinnert, dass es in den Neunzigerjahren in der Leipziger Straße in Berlin einen Technoclub namens Tresor gab, im ehemaligen Tresorkeller des Wertheim-Kaufhauses, das im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde, kann man Army of Thieves attestieren: Es ist schon ziemlich raffiniert (oder eben schamlos), wie der Film Berliner Technoclub-Legenden mit Richard Wagner und altnordischen Mythologien verquirlt und daraus eine Geschichte bastelt, die im besten Hollywood-Sinne gaga und bis zum Anschlag klischeedeutsch ist. Dazu passt, wie Sebastian ein aus Comic-Sprechblasen, p*rnos und Originalversionen von "movie films" (eine rasche Referenz an Borat) eifrig zusammengebasteltes Halb-Englisch spricht, und die Reaktionen darauf lassen sich in vielerlei Hinsicht perfekt mit dem offiziellen deutschen Jugendwort des Jahres 2021 beschreiben: cringe!

Aber Sebastian ist nicht nur peinlich, sondern auch ein Ehrenmann – einer, dem es bei der Knackertour mit Gwendoline viel weniger um die Kohle geht als um die Begegnung mit dem Wagnerschen Tresor-Ring. Die Codes dieser mythischen Safes zu knacken, das wäre seine Art, sich vor dem Genie ihres Erbauers zu verbeugen. So wie ja Computerhacker, die den Code einer Software knacken, damit bisweilen auch den Programmierern nur ihre Ehre erweisen wollen.

Der Panzerknacker als Schöngeist! Wie wunderbar zart also Sebastian sein Ohr an die Türen der Metallschränke legt und ehrfurchtsvoll in ihre Mechanik hineinhorcht, während er an den Zahlenschlössern draußen dreht und sich drinnen die Rädchen und Kolben sperren oder lösen. Das ist nichts anderes als Safe-Erotik, ziemlich kitschig inszeniert, aber ganz schön.

"Army of Thieves" läuft vom 29. Oktober an auf Netflix.

"Army of Thieves": Ein Tresor namens Götterdämmerung (2024)
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Author: Virgilio Hermann JD

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